Bewertungs-Methodik
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Mehr Gleise zwischen Hannover und Bielefeld schaffen Platz für mehr klimafreundliche Züge. Mehr Menschen und Güter kommen pünktlicher und schneller an. Grundlage der Planung ist der bundesweite Takt-Fahrplan.
Der Deutschlandtakt stimmt die Fahrten der Nah-, Fern- und Güterzüge aufeinander ab und beachtet Anschlüsse zu unseren europäischen Nachbarn. Der optimierte Takt-Fahrplan zeigt: Zwischen Hannover und Bielefeld fehlen Gleise und die kürzeste Fahrzeit muss auf 31 Minuten gesenkt werden.
Aber: Wo sollen die neuen Gleise verlaufen? Wo haben zwei neue Gleise den größten Nutzen? Wo belasten die Gleise Mensch und Natur am wenigsten? Diese Fragen beantworten unabhängige Fachleute auf Grundlage einer Bewertungs-Methodik.
Wer hat die Bewertungs-Methodik entwickelt?
Die Fachleute sind:
- Dr. Joachim Hartlik (AG Bosch & Partner/Dr. Hartlik)
- Jörg Borkenhagen (AG Bosch & Partner/Dr. Hartlik)
- Dr. Stefan Balla (Büro Froelich & Sporbeck)
- Jana Brinker (Büro Froelich & Sporbeck)
Herr Dr. Hartlik ist Landschaftsplaner. Herr Borkenhagen, Herr Dr. Balla und Frau Brinker sind Geograph:innen. Die Kriterien der Technik haben Fachleute der Bahn entwickelt. Die Fachleute haben die Bewertungs-Methodik gemeinsam mit der Projekt‒Region und der Bahn von Mai 2022 bis Januar 2023 besprochen und abgestimmt. Dazu hat die Bahn acht Regional‒Treffen und vier Sitzungen des Plenum s durchgeführt. Die Fachleute haben viele Anregungen der Öffentlichkeit und der Fachbehörden aufgenommen. Das waren vor allem Raumordnungsbehörden und Umweltbehörden.
Was berücksichtigt die Methodik?
Die Bewertungs-Methodik für das Bahnprojekt Hannover–Bielefeld unterscheidet drei Belanggruppen: Umwelt, Raumordnung und Technik. Alles, was die Umwelt betrifft, leitet sich entweder aus rechtlichen Vorgaben ab oder wird von Fachleuten entwickelt. Die Belanggruppe Raumordnung betrifft die Raum-Nutzungen einer Region. Diese werden in Plänen der Länder und Kommunen festgehalten. Planerische Aufgabe der Raumordnung ist es, die verschiedenen Nutzungsansprüche an den Raum zu koordinieren und Konflikte zu vermeiden. In der Belanggruppe Technik wird zum Beispiel bewertet, wie lang eine Strecke ist.
Wie ist die Bewertungs-Methodik aufgebaut?
Die drei Belanggruppen (Umwelt, Raumordnung, Technik) beinhalten 21 verschiedene Belange. Die Belange wiederum sind in einzelne Kriterien unterteilt. Es gibt 196 Kriterien in der Bewertungs-Methodik im Projekt Hannover–Bielefeld. Andere Bahnprojekte können mehr oder auch weniger Kriterien haben. Zur Belanggruppe Umwelt gehört zum Beispiel der Belang U1 Menschen. Zur Raumordnung gehört der Belang R2 Landwirtschaft und zur Technik T4 Betrieb. Die Belange untergliedern sich in insgesamt 196 Kriterien, die nicht abgebildet sind. Die vollständige Tabelle mit allen Kriterien finden Sie zum Herunterladen unten auf der Seite.
Umwelt
U1 Menschen
U2 Tiere, Pflanzen
U3 Fläche
U4 Boden
U5 Wasser
U6 Luft, Klima
U7 Landschaft
U8 Kulturelles Erbe
U9 Natura 2000
Raumordnung
R1 Wirtschaftsraum
R2 Landwirtschaft
R3 Forstwirtschaft
R4 Rohstoffsicherung
R5 Energieversorgung
R6 Verkehr
R7 Ver-/ Entsorgung
R8 Besondere Zwecke
Technik
T1 Geometrie
T2 Bauwerke
T3 Bauausführung
T4 Betrieb
Wie messen wir Auswirkungen und Eigenschaften von Trassen-Varianten?
Fast alle Auswirkungen und Eigenschaften der Varianten sind messbar. Das können sein: Anzahl betroffener Objekte, Länge, Fläche oder Neigung der Trasse. So gibt es für jede Trassen-Variante Messwerte. Diese Werte sind innerhalb des Kriteriums von Variante zu Variante vergleichbar.
Wie macht die Bewertungs-Methodik unterschiedliche Kriterien vergleichbar?
Damit wir die Kriterien über verschiedene Maßeinheiten hinweg vergleichen können, nutzen wir den Zielerreichungsgrad. Die absoluten rechnen wir um in relative oder prozentuale Ziel-Erreichungsgrade.
Generell ist es im günstigsten, wenn bei den Kriterien möglichst geringe Betroffenheiten festgestellt werden. Die Betroffenheit zeigt sich in hohen oder niedrigen Messwerten. Zum Beispiel: Varianten die wenige Hektar Landschaftsschutzgebiet verbrauchen sind besser als Varianten, die mehr davon beanspruchen. Oder: ein großer Kurven-Radius ist besser als ein kleiner, da die Schienen weniger abgenutzt werden und die Fahrt bequemer ist.
Der beste Wert hat den Zielerreichungsgrad 100%. Der schlechteste Wert bekommt 0% Zielerreichungsgrad. So sind verschiedene Maßeinheiten wie Meter, Hektar oder Kurvenradius über den Zielerreichungsgrad vergleichbar.
Abbildung 1
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Wie gehen wir mit Ergebnissen um, die sehr nah beieinander liegen?
Sind die Unterschiede zwischen Varianten sehr gering, werden sie nicht berücksichtigt. Dafür haben die Fachleute eine Irrelevanz-Schwelle eingeführt. Unterscheiden sich der höchste und der niedrigste Messwert über alle Varianten nur um 10 % oder weniger, dann berücksichtigen wir das Kriterium nicht für den Vergleich der Varianten. Wir ermitteln dementsprechend keinen Zielerreichungsgrad.
Wie macht die Bewertungs-Methodik die Ergebnisse leicht verständlich?
Wir zeigen an einem Beispiel, wie die Bewertungs-Methodik angewendet wird. Wir betrachten die Auswirkung von sechs fiktiven Varianten auf Landschaftsschutzgebiete. Zunächst messen wir die Inanspruchnahme von Landschaftsschutzgebieten durch die Varianten als Fläche in Hektar. Für die gemessenen Flächen berechnen wir den Zielerreichungsgrad in Prozent (%). Damit man die Ergebnisse der Bewertung schneller miteinander vergleichen kann, werden die Prozentwerte der Zielerreichung in eine Skala übersetzt:
100 % Zielerreichung entspricht ++, Plusplus
0 % Zielerreichung entspricht ‒ ‒, Minusminus
Die anderen drei Werte der Skala sind +, o und ‒. So wird auf den ersten Blick deutlich, welche Variante relativ zu den anderen die günstigste (++) oder die ungünstigste (‒ ‒) ist.
Die Messwerte erhalten je nach Zielerreichungsgrad unterschiedliche Plus- oder Minussymbole. Abbildung 3 zeigt: Die Variante V1 nutzt 10 Hektar (ha) und erhält ein Minusminus (‒ ‒). V2 nutzt 8 ha gleich ‒. V3 nutzt 3 ha gleich ++. V4 nutzt 4,5 ha gleich +. V5 nutzt 6 ha gleich o. V6 nutzt 1 ha gleich ++.
Abbildung 1 zeigt den Weg vom Messwert über den Zielerreichungsgrad zur 5er-Skala mit ++ bis ‒ ‒. Den geringsten Messwert ziehen wir vom höchsten Messwert ab. Das Ergebnis teilen wir für die Einteilung in die 5er Skala durch fünf.
In unserem Beispiel aus Abbildung 3:
(10 Hektar - 1 Hektar) / 5 = 1,8 Hektar. Alle Varianten mit 1 bis 2,8 Hektar Flächen-Nutzung bekommen dann ++. Ab 2,8 bis 4,6 Hektar bekommen die Varianten +. Und so weiter.
Abbildung 2 und 3
Abbildung 2 zeigt die Abstufung der 5er-Skala von Plusplus bis Minusminus. Abbildung 3 zeigt für die sechs Varianten (V1 bis V6) beim Belang U7 Landschaft zum Kriterium U7.2.2.2 Landschaftsschutzgebiete die Messwerte in Hektar (ha) genutzte Fläche, den errechneten relativen Zielerreichungsgrad und die Umrechnung in die 5er-Skala (++ bis --).
Ist in der Bewertungs-Methodik alles gleich wichtig?
Nein, die vielfältigen Belange und Bewertungs-Kriterien sind unterschiedlich wichtig. Eine Siedlung oder eine Heilquelle sind zum Beispiel wichtiger als ein Industriegebiet. Wie bedeutsam ein Kriterium oder ein Belang ist, übersetzen wir in die Faktoren 3,0 bis 0,5. Der Normalwert ist 1. Weniger wichtige Kriterien werten wir durch Malnehmen mit 0,5 ab. Besonders wichtige werten wir durch Malnehmen mit 2 oder 3 auf.
Bei der Aggregation der Belange geht zum Beispiel U1 Menschen dreifach, U2 Tiere, Pflanzen zweifach und U3 Fläche 1,5-fach in das Ergebnis Umwelt ein. Geteilt wird durch 15, die Summe aller Gewichte.
Bewertung der 12 Trassen-Korridor Varianten
Die Abbildung 4 zeigt die Bewertung der zwölf Trassen-Korridor Varianten (V). Neben den Belangen ist die Gewichtung zu sehen. Je größer das Gewicht, desto stärker fließt der Belang in das Ergebnis ein. 2,0 bedeutet: Der Belang wird doppelt gewertet. Ein Klick auf eine Zeile in der Tabelle zeigt einzelne Belange.
Abbildung 4
Kürzel | Belange | Gewicht | V1 | V2 | V3 | V4 | V5 | V6 | V7 | V8 | V9 | V10 | V11 | V12 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
⌄ U | Umwelt | - | o | + | + | + | o | + | + | o | + | + | o | |
U1 | Menschen, menschl. Gesundheit | 3 | -- | o | + | o | + | o | - | + | + | + | o | + |
U2 | Tiere, Pflanzen, biologische Vielfalt | 2 | o | - | + | + | o | + | ++ | + | - | + | ++ | - |
U3 | Fläche | 1,5 | + | + | ++ | ++ | + | + | - | - | -- | o | o | - |
U4 | Boden | 1,5 | - | o | + | o | - | -- | o | o | o | ++ | + | ++ |
U5 | Wasser | 2 | o | + | + | + | + | + | + | + | o | + | o | - |
U6 | Luft, Klima | 1 | + | + | ++ | ++ | -- | -- | ++ | ++ | o | ++ | ++ | o |
U7 | Landschaft | 2 | - | - | + | + | + | + | + | + | - | ++ | ++ | o |
U8 | Kulturelles Erbe, Sachgüter | 1 | -- | - | o | - | o | -- | o | + | + | ++ | + | ++ |
U9 | Natura 2000 | 2 | -- | -- | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | + | ++ | ++ | + |
⌄ R | Raumordnung | o | o | + | + | + | + | o | o | - | ++ | ++ | + | |
R1 | Wirtschaftsraum | 1 | -- | -- | + | + | + | + | + | + | + | + | + | + |
R2 | Landwirtschaft | 2 | - | o | + | o | - | - | o | o | - | ++ | ++ | + |
R3 | Forstwirtschaft | 2 | - | - | + | + | o | o | o | o | o | + | ++ | + |
R4 | Rohstoffsicherung | 1 | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | -- | ++ | ++ | -- |
R5 | Energieversorgung | 2 | + | + | ++ | ++ | + | + | - | - | -- | ++ | ++ | ++ |
R6 | Verkehr | 0,5 | - | - | ++ | ++ | + | + | + | + | - | ++ | ++ | o |
R7 | Ver-/Entsorgung | 0,5 | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | -- | -- | -- | ++ | ++ | ++ |
R8 | Besondere Zwecke | 0,5 | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | -- | -- | -- | -- | -- | -- |
⌄ T | Technik | - | o | o | o | o | o | o | o | o | o | o | o | |
T1 | Geometrie | 1,5 | - | - | - | - | - | - | + | + | o | o | o | - |
T2 | Bauwerke | 1 | - | o | o | o | o | o | o | + | + | + | + | + |
T3 | Bauausführung | 1,5 | o | o | - | o | - | - | + | o | - | - | o | - |
T4 | Betrieb | 1,5 | - | o | + | + | ++ | + | - | o | - | + | o | + |
Wie gehen Fachleute mit Auswirkungen um, die nicht mit einem Wert gemessen werden können?
Nicht alle Auswirkungen lassen sich messen. Zum Beispiel die Auswirkung auf das Landschaftsbild oder die Auswirkung von Lärm auf bestimmte Tierarten. Die Fachleute wägen hier qualitativ zwischen den Unterschieden ab. So stellen sie dar, welche Vorteile und welche Nachteile es gibt. Auf dieser Grundlage geben sie eine Einschätzung, welche Variante am besten ist. Generell überprüfen sie die Ergebnisse der quantitativen Bewertungs-Methodik, die mit Zahlen rechnet. Mit dieser verbal-argumentativen Überprüfung sichern die Fachleute die Qualität der Bewertungs-Ergebnisse.
Am Ende führen wir alle Belange in einer Tabelle zusammen. Die Varianten mit vergleichsweise wenig negativen Auswirkungen, also wenig ‒ und viel +, sind besser. Abbildung 4 zeigt diese Tabelle.
So finden wir gemeinsam den besten Streckenverlauf – für Umwelt und Raum, für das Klima, für die Menschen und für die Wirtschaft in der Projektregion.